„Sie wollten frei von Hitler sein“.

Eine Gedenkveranstaltung der ABW Burg Waldeck für die Edelweißpiraten von Köln-Ehrenfeld.

Eine denkwürdige Geschichtsstunde erlebten rund 100 Besucher am 01.09.2023 auf der Theaterbühne der Burg Waldeck. Peter Finkelgrün und Jan Krauthäuser berichteten vom Jugendwiderstand der „Edelweißpiraten“ in den Kriegsjahren1941-1945 und von der Verfolgung und Kriminalisierung dieser Jugendclique durch Polizei und Gestapo[1]. Befragt wurden sie von Daniel Hermes-Lorenz, der sich der ABW als Moderator zur Verfügung gestellt hatte.[2] Aus Nazi-Sicht handelte es sich bei den „Edelweißpiraten“ um kriminell gewordene Jugendgruppen in der Tradition der „Bündischen Umtriebe“ aus den 1930er Jahren.

Die Bewertung der Edelweißpiraten als „Kriminelle“ durch die Behörden wurde nach 1945 nicht revidiert und Wiedergutmachungsanträge von Angehörigen dieser Nazi-Opfer abgelehnt. Das hing auch damit zusammen, dass das Personal in der Kölner Stadtverwaltung im Wesentlichen beibehalten und nur die Spitzenpositionen ausgetauscht wurden. Peter Finkelgrün konnte mit seinen beharrlichen Bemühungen die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel davon überzeugen, dass die Edelweißpiraten aus uneigennützigen, humanen Motiven Juden gerettet hatten. Sie hatten drei aus einem Sammeltransport entkommene jüdische Frauen mehrere Wochen in ihrer Kellerwohnung versteckt, mitverpflegt und ins sichere Ausland gebracht. 1984 wurden drei Personen aus dem Kreis der „Edelweißpiraten“ in Yad Vashem stellvertretend für die namentlich nicht feststellbaren Mitglieder der Widerstandsgruppe als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt, und zwar Michael Jovy, Jean Jülich und Barthel Schink.[3]

Yad Vashem hatte gesprochen, damit waren die Edelweißpiraten zwar in der Weltöffentlichkeit rehabilitiert, in Köln jedoch ging der Streit um ihre Anerkennung als Widerstandskämpfer noch bis 2004 weiter. Der Zeithistoriker Bernd Rusinek wurde offiziell mit der Klärung des Falls beauftragt. Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Edelweißpiraten von Köln-Ehrenfeld um Jugendliche gehandelt hat, die sich widerständig verhalten hatten, deren Verhalten aber in erster Linie mit ihrer prekären Lebenssituation als Deserteure und illegal Lebende zu erklären war. Ihre Beteiligung an Überfällen auf Versorgungszüge wurde bestätigt, auch dass sie vom Verkauf von geraubter Butter auf dem Schwarzmarkt ihren Lebensunterhalt bestritten hatten. Sie hätten auch anderen Illegalen, z.B. den aus dem anliegenden KZ Köln-Messelager geflohenen Häftlingen kurzzeitig Unterschlupf gewährt, darunter seien auch Juden gewesen. Die Recherche von Rusinek kam zu dem Ergebnis, dass dem Kreis der als „Edelweißpiraten“ bezeichneten Personengruppe zwar „widerständiges Verhalten“, nicht aber „Widerstand“ im politischen Verständnis zu attestieren sei. Damit hatte der Historiker aber ein Eigentor geschossen, denn seine detaillierte Untersuchung belegte nun genauestens alle kriminellen Untaten der Gruppe, ohne sich mit ihren der Untersuchung nicht zugänglichen Motiven zu befassen. Der zur Begutachtung vorliegende Wiedergutmachungsantrag der Schink-Familie blieb weiterhin unbearbeitet und es bedurfte weiterer zwei Jahrzehnte, bis ein neuer Regierungspräsident die Anerkennung veranlasste. Das war im Jahr 2004. Die Antragstellerin war zwischenzeitlich jedoch verstorben, so dass sich das Verfahren erübrigt hatte. Erst mit den neuen Mitarbeitern, die der 68er Generation entstammten, zog ein neuer Geist in die Stadtverwaltung ein. Man bedauerte, dass der von den Edelweißpiraten geleistete Widerstand erst so spät anerkannt wurde, und unterstützte die Initiative von Jan Krauthäuser im Jahr 2004, ein Edelweißpiraten-Festival als eine jährliche Gedenkveranstaltung zu etablieren.

Der ABW-Moderator Daniel Hermes-Lorenz gliederte das Thema in verschiedene Frageblöcke und ließ auch Beiträge aus dem Publikum zu. Ein Zuschauer kam auf die Bühne und berichtete, dass er herausgefunden hatte, dass in Ellern im Hunsrück ein Jugend-KZ bestanden habe, wo die besagten Edelweißpiraten inhaftiert waren und Zwangsarbeit zu leisten hatten. Auch auf das Jugend-KZ auf der Burg Stahleck bei Bacharach wurde aus dem Publikum hingewiesen, so dass ein bislang unbekannter Bezug der Edelweißpiraten zum Hunsrück hergestellt wurde.

Die Zeitzeugenbefragung wurde vom Duo Loup & Hecker (Köln) durch acht Lieder aufgelockert, die damals an den Lagerfeuern der Edelweißpiraten gesungen wurden. den Anfang machte das zum Volkslied gewordene Lied von Alf Zschiesche „Wenn die bunten Fahnen wehen“ und den Schlusspunkt setzte „Die Gedanken sind frei“. Das Publikum, das großteils aus Alt-Nerothern und Neu-ABWlern bestand, sang begeistert mit. Denn die Edelweißpiratenlieder waren zumeist allgemein bekannte bündische Fahrtenlieder, die sich bis heute erhalten haben. Als Zugabe hatte sich das Duo ein von Jean Jülich gedichtetes Lied aufgehoben, das den Abend würdig abschloss.

Ein Ergebnis dieser Vorabendveranstaltung des Peter-Rohland-Singewettstreits 2023 war die Vereinbarung einer vertieften Zusammenarbeit der Waldeck mit dem Kölner Edelweißpiraten-Festival.

Beifall gab es für alle Beteiligten, nicht zuletzt auch für die Absicht der Waldeck-Verantwortlichen, dem Gedenken an die „Edelweißpiraten“ künftig auf der Waldeck Raum zu geben, da auch die „Nerother“ in ähnlicher Weise unter der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu leiden hatten und die Anerkennung ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus auf ähnliche Widerstände stieß.

Anmerkung: Zur weiteren Information über das Thema wurde der Wikipedia-Artikel „Edelweißpiraten“ empfohlen.

Zeko (Eckhard Holler)

 

[1] Peter Finkelgrün (Jg. 1942) ist ein Kölner Journalist jüdischer Herkunft, der sich die Aufklärung über die Judenverfolgung in Köln zur Lebensaufgabe gemacht hat, und Jan Krauthäuser ist der langjährige Organisator des Kölner Edelweißpiraten-Festivals (seit 2004).

[2] Daniel Hermes-Lorenz ist Frontmann und Sänger der Kölner Folkgruppe „Schlagsaite“

[3] Michael Jovy (1920-1984) gehörte der illegalen dj.1.11 an, wurde wegen seines politischen Widerstandes 1939 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt und hatte aus der Haft heraus Kontakte zu den Edelweißpiraten, u.a. zu Jean Jülich. Michael Jovy wurde nach 1945 deutscher Botschafter in verschiedenen Ländern, zuletzt in Rom, wo er 1984 starb. Jean Jülich (1929-2011) stieß 1942 als 13Jähriger zu den Edelweißpiraten. Dort lernte er auch Barthel Schink kennen. Im Oktober 1944 wurde er als „Edelweißpirat“ denunziert, verhaftet und in wechselnde KZ-Lager eingewiesen und erst 1945 von der US-Armee befreit. Barthel Schink (1927-1944) war Mitglied der Edelweißpiratengruppe in Köln-Ehrenfeld, die sich Straßenschlachten mit der Hitlerjugend lieferte und einen eigenen, rebellischen Stil pflegte. Anfang 1944 schloss er sich der Gruppe um Hans Steinbrück (1921-1944) an, wurde im November 1944 bei einer Gestapo-Razzia verhaftet und am 10. November 1944 ohne Gerichtsurteil mit Hans Steinbrück und 11 weiteren Festgenommenen zur Abschreckung von der Gestapo in der Hüttenstraße in Köln vor einer johlenden Menschenkulisse öffentlich gehängt.